Soso, nun hat das Hashtag-Me-Too-Fieber auch Deutschland erreicht. Warum ist das schlimm? Erzähl ich euch.
Natürlich haben vor Monatenschon einige Bekannte/innen auf Facebook ihre Me-Too-Posts gemacht. Ich habe mich da immer rausgehalten, obwohl ich natürlich auch meine Erfahrungen mit sexueller Belästigung habe. Aber es kam mir nicht richtig vor, Klagen im Internet zu posten (selbst ohne Namen der Beschuldigten), wenn ich nicht bereit bin, auch im echten Leben Konsequenzen daraus zu ziehen.
Selbstverständlich gibt es viele Frauen, die erst nach Jahren über sexuelle Übergriffe reden wollen. Vielleicht, weil es ihnen lange peinlich ist. Vielleicht weil sie denken, dass ihnen „keiner glaubt“. Oder auch, weil ihnen gar nicht klar war, dass das nicht in Ordnung war, was damals passiert ist.
Wenn man sich aber irgendwann entscheidet, öffentlich Namen zu nennen, dann ist es nicht okay, das im Internet oder in einer Zeitung zu tun. Weil Anschuldigungen über sexuelle Belästigung nicht ins Internet gehören, sondern vor Gericht.
(Oder vor den Betriebsrat, oder vor den Schuldirektor oder wer sonst zuständig ist.)
Reihenweise werden im Moment Promis in den Medien und Netzwerken beschuldigt, sie hätten Frauen oder Männer sexuell belästigt. Vor ein paar Jahren lief es schon so ähnlich mit dem Modefotografen Terry Richardson. Immer wieder gibt es solche öffentlichen Anschuldigungen. Aber nur ein einziger Fall ist vor Gericht gelandet: Bill Cosby.
Die (angeblichen oder echten) Opfer in allen anderen Fällen haben keine Anklage erhoben. Stattdessen läuft es so ab: Person beschuldigt Promi, Promi ist offiziell erledigt, und was die Wahrheit war, das kriegen wir nicht mehr mit. Wichtig ist die Jagd auf den Promi, das Empörtsein (denn wir sind ja gute Menschen), und das öffentliche Demontieren dieser Person.
Falls die Anschuldigungen falsch sind, hat der Beschuldigte keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Man kann das Leben einer Person ruinieren, die einem nicht passt, einfach so, mit einem einzigen Post! Ist das nicht toll?
Nein. Es ist feige. Wer Personen einer Straftat beschuldigt, der muss auch bereit sein, vor Gericht seine Aussage zu wiederholen und überprüfen zu lassen. Sonst nennt man das „Verleumdung“, und das ist übrigens auch eine Straftat.
Und was, wenn der Beschuldigte wirklich schuldig ist? Dann ist es um so wichtiger, dass er haftbar gemacht wird! Wenn jemand sexuelle Übergriffe begeht, dann gehört das in sein Vorstrafenregister (in Amerika gibt es dafür sogar öffentlich einsehbare Datenbanken), damit andere Leute vor ihm gewarnt oder beschützt werden können.
Passiert das nicht, dann ist derjenige frei wie ein Vögelein, sich an jedem zu vergreifen, der ihm ahnungslos begegnet. Für twitternde Opfer mag das Problem in dem Moment gelöst sein, wenn sie das Leben des Beschuldigten ruiniert haben. Für den Rest der Welt besteht das Problem weiter.
Im letzten Jahr ist der Me-Too-Wahn hochgelobt worden, die betreffenden Frauen wurden „tapfer“ genannt. Weil sie die Dinge in Hollywood verändern. Stimmt – aber zum Schlechten. Auf zur fröhlichen Hexenjagd. Halali.
Noch finden das eine Menge Leute gut. Solange das nur Promis passiert, ist es lustig. Aber es könnte morgen in eurer Umgebung passieren – sobald jemandem euer Gesicht nicht passt, seid ihr vielleicht die Nächsten. Oder eure Väter, oder eure Brüder.
Deshalb dürfen wir keine Hexenjagd-Kultur unterstützten. Macht diesen Unsinn nicht mit. Sprecht euch öffentlich dagegen aus. Und vor allem: ermutigt Leute nicht dazu, öffentlich Rufmord zu begehen.
Im Moment ist Dieter Wedel ja beschuldigt, irgendwelche Schauspielerinnen belästigt zu haben. Zum Glück sind wir Deutschen da weniger hysterisch als die Amerikaner: die ersten Pressestimmen dazu waren „Bis zum Beweis der Schuld gilt die Unschuldvermutung“. Manchmal denke ich, in diesem Land ist doch noch nicht alles verloren.