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Die unerträgliche Leichtgläubigkeit des Netzes

Wir leben in einer Kultur, in der das „public shaming“ von Leuten mit widerlichen Ansichten (Rassisten, Homophobe, Sexisten, Tierquäler, etc) im Internet zum guten Ton gehört. Schön, dass wir alle so anständige Menschen sind. Und weil wir alle so anständige Menschen sind, machen wir kräftig mit und teilen und liken und kommentieren, wenn man uns ein Foto von einem Menschen zeigt, der etwas Böses gemacht hat.

Denn wenn es im Internet steht, dann muss es wahr sein!

Ich schreibe das aus aktuellem Anlass. Auf Facebook kursiert gerade ein Schreiben, das eine Zahnärztin (angeblich) an ihre Praxistür gehängt hat. Darin entschuldigt sie sich quasi bei den Nachbarn, dass sie auch den verlausten, typhus-befallenen Flüchtlingen die Zähne machen muss, und bietet an, den Hausflur danach zu desinfizieren.

Ich kenne die Frau nicht. Möglich, dass der Zettel echt ist.

Aber genauso gut möglich: irgendjemand hat den Zettel getippt, an ihre Tür gehängt und dann ein Foto im Netz gepostet, um ihr zu schaden. Mit Namen und Adresse, wohlgemerkt.

Es gibt inzwischen hunderte von Kommentaren, alle wütend oder von einer „Mein Gott, so hat seit 1945 keiner mehr geredet“-Betroffenheit. Niemand, wirklich niemand stellt in Frage, ob der ganze Kram echt ist oder nicht. Alle kommentieren und liken wie die Wilden. Niemand möchte sich seine schöne Empörung von dem Gedanken stören lassen, dass er da vielleicht an einer bösartigen Hetzkampagne teilnimmt.

Und leider ist das kein Einzelfall.

Neulich teilte einer meiner Facebook-Freunde ein Foto aus einer seiner Gruppen. Einen Selfie, im Vordergrund ein blonder Jüngling, etwas weiter hinter ihm eine Gruppe Schuljungs. Bildunterschrift: „Die Jungs im Hintergrund mobben mich, weil ich schwul bin, vor allem der Typ ganz rechts. Jetzt reicht’s! Ich poste ihre Gesichter online und wehre mich! Bitte verbreitet dieses Bild!“

Die Kommentare dazu kann man sich vorstellen. Bei emotionalen Themen zeigt man nun mal am besten, was für ein anständiger Mensch man ist, indem man zu Mord und Folter auffordert.

Also, hier nochmal ganz langsam:

Wir sehen einen Selfie mit einem Jungen im Vordergrund und ein paar anderen Jungs im Hintergrund. Sonst nichts. Jeder kann dieses Foto irgendwoher genommen und die Bildunterschrift dazu gesetzt haben. Ihr kennt den Kontext nicht. Die Kinder in dem Bild kennen sich womöglich nicht mal, sie laufen vielleicht nur zufällig auf derselben Straße. Vielleicht haben sie nicht mal mitgekriegt, dass dieses Bild überhaupt geschossen wurde. Geschweige denn, dass sie ihr Einverständnis zur Veröffentlichung gegeben hätten.

Aber gib dem Bild einen emotionalen Kontext, und schon verwandelt das Netz sich in einen Mob mit Schaum vorm Mund und bedroht fremde Minderjährige. Was sind wir alle für anständige Menschen!

Ob die Zahnärztin wirklich den Zettel rausgehängt hat – spielt keine Rolle mehr. Selbst wenn sie nachweisen kann, dass sie es nicht war, wird dieser Post noch jahrelang im Netz kursieren und ihr Leben beeinträchtigen. Ob die Teenager in den Fotos wirklich schwul bzw. mobbende Drecksäcke sind – spielt keine Rolle mehr. Bei jedem Vorstellungsgespräch, bei jeder neuen Bekanntschaft kann sie dieses Bild einholen. Wahrscheinlich für die nächsten paar Jahrzehnte.

Liked solche Hetzbilder nicht. Teilt sie nicht weiter. Kommentiert sie nicht. Seid nicht so leichtgläubig, verdammt nochmal! Ihr wisst nicht, was ihr anrichtet.

Für den schäumenden Netz-Mob ist es nur ein Klick und eine Bemerkung, hops und weg. Aber für die Beschuldigten ist es bitterer Ernst. Was auch immer mit diesen Bildern und den Beschuldigten passiert – niemand kann es stoppen.

Der Fall mit den Teenagern ist besonders schlimm. Wir machen uns Sorgen, welche Informationen unsere Kinder im Netz preisgeben. Wir haben Angst, dass sie Bikinifotos oder ihre Adresse ins Netz stellen. Aber gleichzeitig sind wir sofort dabei, die Kinder anderer Leute im Netz zu verleumden und zu bedrohen, wenn wir uns dabei wie bessere Menschen fühlen können.

Schockierend, wie dumm und unkritisch erwachsene Menschen mit dem Internet umgehen, nicht?

Morgen könnte jemand ein Foto von eurem Kind nehmen und es auf Facebook posten mit den Worten: „13-jähriger Junge aus Castrup-Rauxel quält Hamster zu Tode!“. Dann wäre es euer Kind, das bedroht und beschimpft wird – und nicht nur online. Für wer-weiß-wie lange. Denn was im Internet steht, stellt der Mob nicht in Frage.

Leute, fangt endlich an zu denken! Bevor ihr liked! Bevor ihr kommentiert, und bevor ihr teilt!

Packt euer Testosteron und eure ach-so-befriedigende Selbstgerechtigkeit weg und lernt, mit all diesen schönen bunten Informationen verantwortungsvoll umzugehen! Ihr seid so überfordert wie ein Tintenfisch, der mit Kettensägen jongliert. Ob ihr euch selbst trefft oder jemand anders – den Schaden könnt ihr nie wiedergutmachen.

Hinter jedem Bild und jeder Adresse, die benutzt wird, um euch zum Mob aufzupeitschen, steht ein realer Mensch. Ihr solltet besser verdammt sicher sein, dass ihr im Recht seid, bevor ihr das Maul aufmacht!

Sonst seid ihr kein Stück besser als die Bildzeitung. Nur ohne nackige Frau auf Seite 3.

Ein Gedanke

Saß neulich im Flugzeug auf dem Weg in den Urlaub. Da gab’s Kotztüten, auf denen stand in fröhlichen Lettern: „Take it with a smile!“

Das hilft keinem Unglücklichen mit schwachem Magen.

„Give it away, give it away, give it away now!“ sollte da draufstehen, das wäre viel heiterer und nicht so herablassend.

 

PS: Gibt es eigentlich ein feineres Wort für „Kotztüte“ als „Kotztüte“? Wie sagen Stewardessen dazu?

Flirten unter Aluhut-Trägern

Heute morgen im Bus.

Der Busfahrer ist ein „Kein Nazi-Aber“-Aluhutträger, und die Fahrgästin ist eine komplette Wahnwichtlerin. Zusammen kamen sie über 15 Minuten Fahrzeit zu folgenden Erkenntnissen:

1. Es gibt eigentlich gar keine richtigen Flüchtlinge, sondern das sind alles Wirtschaftsflüchtlinge.
2. Über die ganzen Frauen, die die vergewaltigen, redet keiner!
3. Die Medien sind alle bezahlt.
4. Die Flüchtlinge sind irgendwie auch dran schuld, dass keiner mehr das Geld für die Busfahrkarte passend dabei hat.

Die Wahnwichtlerin fand es dabei extrem wichtig, genau in der Tür stehenzubleiben, so dass sie an jeder einzelnen Haltestelle aus- und wieder einsteigen musste. Das nenn ich mal Hingabe!

Man verabschiedete sich mit den Worten „Vielleicht sieht man sich mal wieder!“. Schnüff. Ich glaube, ich habe grade den wunderschönen Moment beobachtet, wo zwei Seelen wissen, dass sie füreinander bestimmt sind. Ich mag mir nur nicht ausmalen, wie ihre Kinder aussehen werden…

Umschlag mit Schlag

Der Umschlag für den „Hummelreiter“, made by Eva Schöffmann-Davidov, ist fertig. Endlich. Genau die richtige Mischung aus lustig und gruselig und Steampunk ist es geworden.

Dummerweise dürft ihr ihn noch nicht sehen. Schade, schade… muss ich mich wohl alleine freuen 🙂

The Story so Far…

  • November 2010: Mir schwirrt das Wort „Hummelreiter“ im Kopf herum. Ich weiß nicht wie, aber irgendetwas Gutes lässt sich damit anfangen. Dann habe ich die Idee: Ein Typ mit einem albernen Namen wird von einer Hummel in ein fremdes Land entführt, wo er die Welt retten soll. Aber oha: es gibt einen Plot-Twist! (Den ich an dieser Stelle zwar schon weiß, aber hier nicht verraten werde.)
  • Beflügelt und begeistert klebe ich einige große weiße Kalenderbögen zusammen und mache eine weiße Wand, an der ich alle Ideen sammle. Dann setze ich mich an den Computer und hacke los.
  • November 2012: Die erste Version ist fertig. Es folgt ein halbes Jahr Korrekturlesen und Plot-Glattbügeln, assistiert von meinem Lebensgefährten, der sehr streng korrigiert.
  • April 2013: Ich gehe bei Literatur-Agenturen die Klinken putzen. Denn alleine bin ich im Bücher-Business aufgeschmissen, das weiß ich. Das Programm: Promopackung basteln (Leseprobe, Lebenslauf, Zusammenfassung), pitchen für Telefongespräche üben.
  • Oktober 2013: Ich gehe mit meiner Promopackung zur Buchmesse. Anfängerfehler. Niemand will auf einer Buchmesse von irgendeinem hoffnungsfrohen Möchtegern-Autor Papier in die Hände gedrückt bekommen. Ins Agenten-Center lassen sie mich gar nicht erst rein.
  • Kurz nach der Buchmesse beißt eine Agentur an! Hurra! Die erste Lektion: im Buch-Business mahlen die Mühlen langsam. Sehr, seeehr langsam.
  • Oktober 2014: Die Agentur hat das Buch untergebracht, und zwar zu genialen Bedingungen. Dieses Jahr stolziere ich zehn Zentimeter über dem Boden in den Agenten-Center und treffe die Leute, die in Zukunft den Hummelreiter in die Öffentlichkeit bringen. Es ist bizarr, dass etwas aus meinem komischen Kopf plötzlich Leute so sehr interessiert, dass sie sich professionell damit beschäftigen!
  • Im Sommer 2015 geht plötzlich alles schnell. Illustratorin wird gefunden, Text wird lektoriert, meine Wortspiele verwirren die Korrekturleserin. Plötzlich heißt es Fahne, Probeexemplare, Hörbuchrechte. Mir schwirrt der Kopf von so viel Geschäftstüchtigkeit. Aber schön ist es schon.

Und hier sind wir nun. Ich habe eine wacklige Website mit meinem richtigen Namen drauf und alles. Im Frühjahr 2016 soll das Buch erscheinen. Was für ein Trip.